Einheit braucht Erinnerung – warum der 3. Oktober nicht reicht 3. Oktober 2025 Jedes Jahr feiern wir die Deutsche Einheit – doch der Tag wirkt oft fern, fast bürokratisch. Unsere Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz fragt: Wäre ein anderes Datum nicht geeigneter, um Mut, Aufbruch und die Kraft der Friedlichen Revolution ins Zentrum zu stellen? Im folgenden Beitrag beschreibt sie, warum ein lebendiger Feiertag nicht an Paragrafen erinnern sollte, sondern an Gesichter, Stimmen und Kerzenlichter, die Geschichte geschrieben haben. Der 3. Oktober, unser Nationalfeiertag, ist jedes Jahr ein Fixpunkt. Ein Datum, festgeschrieben, amtlich beschlossen, feierlich begangen. Oder doch nur ein freier Tag? Für viele Menschen, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, ist der 3. Oktober ein seltsam glanzloses Datum. Denn er markiert im Kern nicht das Wunder der Friedlichen Revolution, nicht den Moment des Aufbegehrens; in ihm liegt kein Funke der Freiheit, nicht das erfüllende Gefühl der Hoffnung. Der „Tag der deutschen Einheit“ beschreibt ein Wunder der Geschichte als Verwaltungsakt: das Inkrafttreten eines Vertrages, das Zusammenführen zweier Staaten durch Stempel, Unterschriften, Paragrafen. Große Geschichte in nüchterner Sprache. Dabei sind die Erinnerungen, die die deutsche Einheit tragen, ganz anderer Natur. Sie sind voller Gesichter, Stimmen und Schritte auf dem Pflaster. Sie erzählen von Herbstabenden in Leipzig, Berlin und Quedlinburg, von Tausenden Menschen, die den Mut hatten, ihrer Angst zu begegnen, indem sie einander vertrauten. Der Ruf „Wir sind das Volk“ wurde nicht als Parole geboren, sondern als Schrei nach Selbstbestimmung. In diesen Momenten wurde das Fundament der Einheit gegossen, nicht in den Verhandlungszimmern der Ministerien. Man könnte fragen: Warum ist nicht der 9. Oktober unser Feiertag? Jener Tag, an dem 1989 in Leipzig über 70.000 Menschen friedlich protestierten, und den Staat, der so entsetzlich unerschütterlich schien, ins Wanken brachten. Oder der 18. März, der an so vielen Stellen in der deutschen Demokratiegeschichte steht: 1848 die Barrikadenkämpfe, 1990 die ersten freien Wahlen zur Volkskammer, das ist eine Linie vom frühen Ruf nach Demokratie bis zur Selbstbefreiung der Bürger:innen der DDR. Und natürlich der 9. November, jener euphorische Abend, als die Mauer plötzlich, und doch ein bisschen unerwartet, durchlässig wurde und Deutschland in die Arme der Geschichte zurück stolperte. Der 9. November ist aber auch der Tag der Progromnacht 1938, der Tag, an dem die Märzrevolution 1848 endete, an dem 1918 die Weimarer Republik ausgerufen wurde und 1923 der Hitlerputsch scheiterte. Ein politischer Schicksalstag der Deutschen, eine paradoxe Verdichtung von Jubel und Scham. Was macht einen Feiertag zum Feiertag? Vielleicht nicht das Protokoll, sondern das Gefühl. Ein Tag, an dem man spürt: Dies ist Teil von uns, hier liegt eine Erfahrung, die größer ist als das Individuum. Der 3. Oktober erinnert uns daran, dass die Einheit gelungen ist, aber nicht daran, was das Land dorthin getragen hat. Er ist Abschluss, nicht Aufbruch. Gerade heute, in einer Zeit, in der viele kaum mehr Bezug zu unserer Demokratie fühlen, sie anstrengend erscheint, wo Populismus Risse vertieft, wäre ein anderes Erinnern wertvoll. Eines, das den Wert unserer Demokratie und den Preis feiert, den so viele für sie bezahlt haben. Ein Feiertag, der den Mut der Menschen in den Mittelpunkt rückt statt die Logik der Bürokratie. Ein Tag, der die Entschlossenheit, die Freudentränen und das Kerzenlicht feiert, nicht Gesetzesblätter. Ein Tag, der nicht nur verdeutlicht, wie zwei Staaten eins wurden, sondern warum Menschen bereit waren, für Freiheit jedes Risiko einzugehen. Vielleicht sollten wir unseren Nationalfeiertag neu denken, nicht als Denkmal einer politischen Entscheidung, sondern als lebendigen Spiegel von Mut und Zusammenhalt. Ein Tag, der uns zeigt: Einheit entsteht nicht durch Erlasse, sondern durch Menschen, die ihre Angst überwinden. Und genau diese Botschaft könnte heute ein Mittel sein gegen Spaltung, gegen Misstrauen, gegen die Versuchung, die Demokratie für selbstverständlich zu halten. Ein Feiertag, der nicht verwaltet wird, sondern erzählt: wie aus Kerzen Geschichte wird.