Die Zukunft der ostdeutschen Chemieindustrie stärken! 15. Dezember 2025 Positions- und Forderungspapierzum Chemiegipfel Ost | 15. Dezember 2025 | Böhlen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-AnhaltFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von SachsenMichael Kellner, Mitglied des Bundestages Download als PDF Unsere Chemie-Regionen stehen an einem historischen Wendepunkt.Seit mehr als einem Jahrhundert beweist unsere ostdeutsche Chemie:Wir können Chemie und wir können Wandel. Aus dem Chemiedreieck heraus entstand der Kern der deutschen Chemieindustrie. Hier wurden Ideen geboren, Verfahren entwickelt und Wertschöpfung geschaffen. Zuerst mit Braunkohle, dann durch importiertes Erdöl und Erdgas, stets war die Region Motor für Innovationen. Heute befinden wir uns an der Schwelle zur post-fossilen Ökonomie. Kreislaufwirtschaft, neue Rohstoffquellen und nachhaltige Produktionswege gewinnen rasant an Bedeutung. Gleichzeitig verändern sich globale Märkte so fundamental wie seit Jahrzehnten nicht. Und erneut gilt: Die ostdeutschen Chemie-Standorte stehen im Zentrum dieser Zeitenwende. Gute 30 Jahre nach dem Strukturabbruch der 1990er Jahre geht es heute um eine Veränderung, die eine neue, tragfähige Zukunft schafft. Wir sind überzeugt: Unsere chemische Industrie, mit ihren integrierten Stoffströmen, einer erstklassigen Infrastruktur, hochqualifizierten Fachkräften und ausgezeichneter Forschungskompetenz, hat Zukunft. Doch diese Zukunft kommt nicht von allein. In einer Zeit, in der massive Überkapazitäten globaler Konkurrenten die Preise drücken, während die Nachfrage schwach bleibt und Energie- sowie Arbeitskosten in Europa steigen, braucht es entschlossene politische Entscheidungen. Die Menschen, die hier arbeiten und leben, dürfen dabei nicht die Leidtragenden eines überfälligen Strukturwandels sein. Für die Beschäftigten vor Ort würde das den erneuten Verlust von Arbeitsplätzen und Perspektiven bedeuten, verbunden mit dem Gefühl politischer Schwäche und mangelnder Interessenvertretung durch das Land. Versäumnisse der Vergangenheit Über Jahrzehnte haben CDU-geführte Regierungen zu kurz gedacht. Fördermittel wurden ohne ausreichende, verbindliche Auflagen vergeben, ohne Rückforderungsregeln, ohne Investitionsbindungen, ohne konsequente Standortstrategie. Schnelle Ansiedlungserfolge zählten mehr als nachhaltige Industriestärke. Dadurch verloren die Länder langfristig jede Verhandlungsmacht. Hinzu kam eine fatale energiepolitische Fehlentscheidung: Die politisch gewollte Abhängigkeit von russischem Gas, vorangetrieben durch Union und SPD, hat unsere industrielle Basis massiv geschwächt. Zugleich wurden viel zu lange neue Chancen, wie in der Bioökonomie oder im grünen Wasserstoff, nicht ergriffen. Neue Chancen und aktuelle Entwicklungen Als Bündnisgrüne haben wir unser Land in der letzten Bundesregierung durch die schwerste Energiekrise seit Jahrzehnten gebracht und dabei die industrielle Transformation angestoßen. Mit der Erweiterung des Standorts Leuna wurde ein weiterer Grundstein für die Bioökonomie gelegt. Gerade erst wurde mit „Flow“ die größte Wasserstoffpipeline der Welt in Ostdeutschland fertiggestellt: ein Wettbewerbsvorteil für zukünftige Investitionen. Wir sehen bereits heute durch UPM Chemicals große Investitionen im Bereich Biochemie. Auch die Absicht der Raffinerie Leuna, auf Wasserstoff umzusteigen, macht Hoffnung für den Standort. Doch wir sehen auch Rückschläge und die Branche verliert im internationalen Wettbewerb an Boden. Gleichzeitig öffnen sich gerade jetzt starke, zukunftsweisende, grüne Leitmärkte, die neue Wege für Wertschöpfung, Sicherheit und technologische Führung bieten. Wenn wir diesen Wandel gemeinsam mit unseren Unternehmen mutig und entschlossen angehen, können wir im globalen Wettbewerb nicht nur mithalten, sondern diesen wieder gestalten. Dafür braucht es ein stabiles Fundament: bezahlbare Energiepreise durch einen Industriestrompreis, als Brückenstrompreis bei Erfüllung von Standorttreue und Transformationsschritten und erneuerbare Energien, wettbewerbsfähige Produktionsketten und weniger Bürokratie. Europa und Deutschland müssen den Mut aufbringen, den Wandel konsequent zu gestalten. Denn die aktuelle Entwicklung zeigt, wie dringend dieser Mut gebraucht wird. DOW: Zäsur durch die Schließungen und aktive Blockade Die angekündigten Schließungen der Dow-Anlagen in Böhlen (Cracker, Aromaten/Butadien) und Schkopau (Chlor-Alkali/Vinyl) sind ein massiver Einschnitt. Doch noch gravierender ist die aktive Blockade des Konzerns: Dow verhindert Übernahmen durch Dritte und plant sogar den Abriss zentraler Anlagen und damit die Zerstörung von Zukunftschancen. Diese Absage an Verantwortung trifft Beschäftigte, Region und Zukunft. Doch die Menschen dürfen nicht die Leidtragenden eines Strukturwandels sein, den Politik und Konzerne zu lange aufgeschoben haben. Wenn ein globaler Konzern sich seiner Verantwortung entzieht, dürfen Landes- und Bundesregierung nicht tatenlos zusehen. Klarer Kurs für die Zukunft Die bisherigen fossilen Abhängigkeiten wollen wir mit Hilfe von grünen Molekülen und Elektrifizierung überwinden. Ein Rückschritt zu russischem Gas hilft niemandem, weder den Beschäftigten, noch der Region, noch der Sicherheit unserer Industrie. Das wäre nur ein Irrweg zurück in alte Abhängigkeiten, der uns langfristig teuer zu stehen kommt, und würde den europäischen Markt vollständig im internationalen Wettbewerb zurückwerfen. Mit den im Land Sachsen durchgesetzten und kofinanzierten, massiven Fördermöglichkeiten für Kreislaufwirtschaft („Grüne Chemie“) und für H2-basierte Transformation haben wir in Regierungsverantwortung den Grundstein gelegt für eine nachhaltige Art von Standortpolitik. Nicht die kurzfristigen Mitnahmeeffekte in der Ansiedlung zu fördern, sondern die Unternehmen mit den zukunftsfähigen Geschäftsmodellen. Bedeutung des mitteldeutschen Chemiedreiecks Das Chemiedreieck ist die zentrale Industriebasis für Mitteldeutschland. Hier sind Wertschöpfung, gut bezahlte Arbeit und ein hohes Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte zu Hause. Die Schließung des Crackers in Böhlen führt zur Destabilisierung ganzer industrieller Verbundstrukturen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Beide Dow-Standorte Böhlen und Schkopau sind systemrelevant für diesen Verbund. Ihr Wegfall würde Kettenreaktionen auslösen, mit Risiken weit über 2027 hinaus. Dow setzt auf Kahlschlag Dow lässt klar erkennen, dass es seine Anlagen nicht verkaufen will, sondern auf Stilllegung und Abriss setzt. Damit wird eine mögliche Investorenlösung, die auch von Betriebsräten und Gewerkschaften mit Nachdruck vorgeschlagen wurde, vom Konzern abgelehnt. Die Blockadepolitik Dow’s bedroht in ihren Auswirkungen den industriellen Verbund im mitteldeutschen Chemiedreieck. Diese Entscheidungen sind Teil einer konzernweiten Rückzugsstrategie in ganz Europa, auch zur Bereinigung von Marktüberkapazitäten, zu Lasten der Regionen, Arbeitsplätze und industriellen Perspektiven. Übergang mittels „InduServ2.0“ Die von der IGBCE im 10-Punkte-Masterplan vorgelegten Konzepte des „Chemiedreieck 2060“ und der Übergangsgesellschaft InduServ 2.0 weisen den Weg, weil sie: das entstehende strukturelle Vakuum adressieren, neue Lead-Investoren ermöglichen, Infrastruktur, Pipelines und Flächen sichern, einen geordneten Übergang bis 2028 anstreben. Wir Bündnisgrüne unterstützen den Ansatz einer Übergangsgesellschaft „InduServ 2.0“: zur nötigen Sicherung des Stoffverbundes und seiner Infrastruktur mit einer öffentlich flankierten Übergangsgesellschaft mit einer aktiven Rolle der Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt bei Infrastruktur, Netzen und Genehmigungen wenn nötig mit direktem Engagement in der Übergangsgesellschaft „InduServ 2.0“ Forderungen 1. Dow muss Verantwortung übernehmen: investorenoffene Übergabe von Anlagen und Infrastruktur, transparente und faire Verkaufs- und Pachtbedingungen, keine irreversiblen Schritte, bevor Nachfolgelösungen geprüft sind. 2. Energiewende und Wasserstoffinfrastruktur beschleunigen: schneller Ausbau erneuerbarer Energien im Chemiedreieck, prioritäre Anbindung an das Wasserstoffkernnetz, Diskussion über regionale Strompreissignale zur Kostenentlastung, Fossile Abhängigkeiten konsequent abbauen, da sie ökonomisch riskant sind, politisch gefährlich und keine (nachhaltigen) Lösung darstellen. 3. Die Zukunft der Chemie liegt in: erneuerbaren Energien, grünem Wasserstoff, Elektrifizierung, Kreislaufwirtschaft, klimaneutralen Molekülpfaden, Förderung postfossiler Pilot- und Demonstrationsanlagen, dem Aufbau eines Green-Chemistry-Gründerclusters. 4. Aufforderungen an die Politik auf Landes- und Bundesebene: Der Bund und die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt müssen Dow deutlich machen: Eine Blockade von Investoren bleibt nicht folgenlos. Ein direkter Dialog auf höchster Regierungsebene ist notwendig, um Dow zum Verkauf der Anlagen und Infrastruktur, nicht Abriss, zu bewegen. Wenn nötig, durch Gesetzesänderungen, die Kriterien verschärfen und Standort- sowie Investitionspflichten einführen, um Dow den Industriestrompreis und die Befreiung von der Gasspeicherumlage in Deutschland zu verwehren. Zukunft des Chemiedreiecks sichern – Verantwortung übernehmen Wir sehen in den Plänen von Dow nicht nur eine unternehmerische Entscheidung, sondern eine politisch relevante Standortgefährdung. Wir fordern vom Chemiegipfel Ost am 15.12.2025 in Böhlen von allen Teilnehmenden, Unternehmen, Gewerkschaften, Minister der Länder und der Ostbeauftragten des Bundes: Ein gemeinsames Bekenntnis zum Erhalt der industriellen Basis im Chemiedreieck. Eine verbindliche Erklärung/klare Absichtserklärung, dass das Chemiedreieck nicht durch Abschaltung und Verweigerung Dows verloren geht, sondern eine Chance für Transformation und nachhaltige Industrie erhält. Vereinbarung auf konkrete Schritte zur industriellen Zukunft für Mitarbeitende, für Unternehmen und für die Region. Wer Verantwortung für Regionen, Beschäftigte und Zukunft ernst nimmt, darf nicht nur reagieren, er muss gestalten und auch in Konflikt gehen, wo nötig. Wir stehen bereit, uns entschlossen dafür einzusetzen, dass das Chemiedreieck ein nachhaltiger und zukunftsfähiger Industriestandort der Chemie in Deutschland sein kann.